Ohne Abstriche vorweg: LÖWEN und INDIEN gehören zueinander. Eine in den Herzen (in den Seelen) der Inder gehegte ideelle Verbindungskette, die sich vom Großreich des König Ashoka bis zur heutigen Republik Indien spannt, ist niemals gerissen. Am 26.1.1950, dem Tag der Ausrufung der Unabhängigkeit Indiens, wurde das Löwen-Staatswappen für Indien gültig. Nicht zufällig übernahm die Regierung die Säulen-Kapitelle des König Ashoka unverändert: vier stehende Löwen auf dem Rad der Lehre, welches wiederum auf einer Lotos-Glocke lagert. Der Schriftzug »Allein die Wahrheit siegt« steht für die Unerschütterlichkeit der Demokratie. Welch ein Wappen, welch eine Verpflichtung! Die Baumeister früher buddhistischer Höhlentempel in Süd-Indien bedienten sich der vom König Ashoka im 3. vorchristlichen Jahrhundert kreierten Vorlagen. Die Kapitelle der Säulen, an denen er seine Verordnungen dem Volk kundtat, schienen das verbindliche Muster zu sein. Die Verwendung ist eine Referenz an den König und an den vom König geforderten Staatsglauben: den Buddhismus. Der etwa 10km von Lonavala entfernte Höhlentempel-Komplex von Karla (Karli) zählt zu den ältesten buddhistischen Tempeln Süd-Indiens. Angenommen wird eine Entstehungszeit vom 2. Jahrhundert vor Chr. bis zum 5. Jahrhundert nach Chr. In diesem Zeitraum wurde auch die berühmte Chaitya, die große Versammlungshalle (Höhle 8) in den Fels geschlagen. Von den zwei Säulen, die dem offenen Korridor (Mandapa) vorgestellt waren, hat sich nur eine erhalten. Das Kapitell dieser Säule kann die stilistischen Vorgaben der Königs-Säulen nicht verleugnen: vier Löwen auf einer Plattform, darunter die Lotos-Glocke. Zu dieser Zeit standen im indischen Großreich gewiss noch viele der Ashoka-Säulen. Den Menschen waren diese Säulen mit den eindrucksvollen Kapitellen vertraut, was wunder, dass sich Baumeister großzügig an den Mustern bedienten. Die wiederholte Verwendung stilistischer Eigenheiten an Bauwerken steigerte ihren Wiedererkennungswert und sicherte die Aufmerksamkeit des Publikums. Die etwa 20 Höhlen von Pandava in der Nähe von Nashik wurden in markante Felsrücken des Deccan-Plateaus getrieben. Die Quellen zur Entstehungsgeschichte sind trübe, will heißen wenig aussagekräftig, geschätzt wird ein Zeitraum zwischen dem 1. Jahrhundert vor Chr. bis etwa ins 5. Jahrhundert nach Chr. Klassische Ashoka-Löwen-Kapitelle sind an den Pandava-Höhlen nicht mehr geschlagen worden. Vor mehreren großen Hallen (etwa Höhle 10) finden sich Löwen-Kapitelle im neuen Stil. Die verschiedenen Tier-Kapitelle sind zweigeteilt. Die Tiere der Außenseite werden von Menschen geritten. Angeblich wären hier die Stifter (Sponsoren) verewigt worden. Die Innenseiten der Kapitelle zeigen Tiere ohne Menschen. Nicht alle Tierfiguren zeichnen sich durch naturgetreue Wiedergabe aus. Die Wirkung einiger Kapitelle muss als unbeholfen, regelrecht naiv bezeichnet werden. Viele Wände der Pandava-Höhlen sind mit Reliefs dekoriert, wobei die Bildinhalte wenig variieren, sich jedoch die Qualität der künstlerischen Ausführung unterscheidet. Als häufige Wiederholung ist der Buddha-Löwenthron zu registrieren. Das senkrecht gezeigte Rad der Lehre (Dharmachakra) wird von Gläubigen oft berührt. Die neben dem Rad der Lehre hockenden Löwen mit den viel zu großen Köpfen zählen gewiss nicht zu den prächtigsten Exemplaren ihrer Gattung. Blicken wir auf eine Lehrlingsarbeit? Hatte der Bildhauer je einen Löwen gesehen? Doch eine Pose sollten sich Betrachter einprägen: die erhobene Pranke, dieses Detail, wird noch mehrfach ins Blickfeld geraten. Die Höhlen von Elephanta auf der östlich von Mumbai gelegenen Elephanta Insel (Elephanta Island) zählen zum Weltkulturerbe. Die Kunstwerke der hinduistischen Tempel widmen sich vorrangig der Shiva-Verehrung. Die Bildwerke in den Höhlen von Elephanta verdienen durchweg das Prädikat: einmalig. Der rechts vor dem Ost-Schrein der Haupthöhle stehende Wächter-Löwe wirkt naturgetreuer als die ungünstig getroffenen Löwen der Pandava Caves. Wiederum beachtenswert ist die erhobene Pranke. Was diese Geste zu bedeuten hat, ob sich gar religiöse Konnotationen hinter dieser Haltung verbergen, entzieht sich der Kenntnis des Autors. Allansichtige vollplastische Löwen-Statuen, also Raum-Plastiken, sind in Süd-Indien eher selten anzutreffen. Die Hauptattraktion der Ellora Höhlen ist zweifellos der Kailasa Tempel. Die recht weit ausgedehnte Höhlenanlage gliedert sich in hinduistische, buddhistische und jainistische Höhlen. In den buddhistischen Höhlen finden sich Buddha-Löwenthrone in sehr unterschiedlicher Ausführung. Es besteht kein Zweifel, hier waren verschiedene Bildhauer zu verschiedenen Zeiten am Werk. Zu sehen sind Löwen in Flach- bzw. Halbrelieftechnik. An einem Thron sind die Löwen sogar doppelt präsent, als Relief und als vollplastische Figur. Die folgenden zwei Bilder sind absolut untypisch für den Kailasa Tempel. Zu entdecken und zu bestaunen sind seltsame Löwen in einem kleinen düsteren Tempelraum im östlichen Außenbereich des Tempels. In keinem anderen Raum fanden sich ähnliche Mischwesen mit Menschengesichtern und Löwenmähnen, die auf Hufen unterwegs sind. Die als Verbindungselemente zwischen den Eckpfeilern (Eck-Kapitellen) und der Raumdecke dienenden ungewöhnlichen Wesen sollten wohl böse Geister und/oder unliebsame Besucher abschrecken. Welche religiösen Gründe die Anwesenheit dieser Mensch-Löwen in dem kleinen Tempelraum rechtfertigen, lässt sich nur schwerlich klären. Auffallend ist immerhin die dominante Betonung der Männlichkeit. Im hinduistischen Götter-Pantheon besaß Vishnu die Fähigkeit sich in einen Mensch-Löwen zu verwandeln. In seiner vierten Inkarnation, erscheint Vishnu als Narasimha (Menschlöwe). Es ist sehr unwahrscheinlich, dass in dem dunklen Raum an einem völlig untypischen Platz unter der Decke dem Gott Vishnu Tribut gezollt werden sollte. Kunstgeschichtlich sind derartige Mensch-Löwen-Wesen in mehreren frühen Kulturen der Menschheitsgeschichte nachzuweisen. Im Regelfall werden diese Wesen als SPHINX bezeichnet. Der/die berühmteste und größte Sphinx lagert seit über 4500 Jahren (viereinhalbtausend!) im Wüstensand von Gizeh. (Die mangelhafte Qualität der Sphinx-Fotos belegt die ungünstigen Lichtverhältnisse im Raum.) Es fällt nicht leicht, eine der wunderbaren Ajanta-Höhlen als definitiv schönste Höhle auszuzeichnen. Jede der Höhlen scheint die Pracht der vorherigen noch übertreffen zu wollen. In die künstlerischen Ausgestaltungen der Ajanta-Höhlen flossen wertvolle Erfahrungen, die in vorherigen oder zeitgleich errichteten Bauwerken gewonnen wurden. Nebenbei: die Höhlenkomplexe von Ellora und Ajanta stehen ebenfalls auf der Weltkulturerbe-Liste. Buddha-Löwenthrone sind schon einige vorgestellt worden, doch die in Ajanta vorgeführte Ikonographie entlieh konkrete Bildinhalte aus den Überlieferungen, die sich auf Buddhas Leben beziehen. Buddha soll seine erste Predigt im Gazellenhain von Benares=Varanasi (Nord-Indien) gehalten haben. Gazellen und fünf Asketen sollen seine Zuhörer gewesen sein. Fortan erscheinen an den Sockeln der Löwen-Throne noch zwei Gazellen, die sich neben dem Rad der Lehre niedergelassen haben. Dieses Motiv wird noch immer als Bekrönung von Tempeln oder Tempeltoren verwendet und kann an alten und neuen buddhistischen Tempeln in aller Welt nachgewiesen werden. Im indischen Bundesstaat Karnataka können hunderte Tempelanlagen besichtigt werden. Egal ob man in Pattadakal, Badami oder Aihole unterwegs ist, Tempel gibt es wahrhaftig in Hülle und Fülle zu besichtigen, doch nach Löwen vor und in Tempeln wird man vergeblich Ausschau halten. Nandi, der heilige Stier, ist präsent. Der im Außenbereich des Aihole Museums gezeigte Löwe unbekannter Herkunft mutet im Umfeld hinduistischer Tempel und Götter seltsam verloren an. Die sittsam brav und friedfertig liegende Vollplastik dieses Löwen aus Sandstein wird kaum je als Tempelwächter gedient haben. Das verbindende Glied zwischen dem Aihole-Löwen und dem Löwenkampf aus Balligavi (Prine of Wales Museum in Mumbai) könnte ein Tempelrelief von Belur sein. Wird vom König Sala gesprochen, ist kein König, sondern ein mythischer Krieger gemeint, der den Kampf gegen einen Tiger bestand. Der legendäre Sala (manche sehen in ihm den Gründer des Hoysala-Reiches) könnte einer aus der Dynastie der Hoysala gewesen sein, zweifellos war er ein leidenschaftlicher Jäger. Die wunderbar heldenhafte Szene vom Chennakesava Tempel in Belur wurde zum Emblem der Macht der Hoysala. Jeder Betrachter mag entscheiden, ob er einen Löwen oder einen Tiger erkennt. Wie auch immer, die (optische) Verwandtschaft der Löwen von Aihole, Balligavi und Belur ist nicht ohne stichhaltige Argumente von der Hand zu weisen. Die Belur-Kampfszene ähnelt stark der Balligavi-Kampfszene. Aus rechtlichen Gründen kann das Belur-Foto nicht gezeigt, aber mit einem Link darf auf den englischsprachigen Artikel und das Foto verwiesen werden: https://en.wikipedia.org/wiki/Hoysala_Empire#/media/File:Hoysala_emblem.JPG Die Encyclopaedia Britannica zeigt im Hoysala-Artikel das gleiche Foto der Belur-Kampfszene: https://cdn.britannica.com/86/143386-050-D8D62DE8/Sala-tiger-sculpture-Hoysala-Chennakesava-Temple-Karnataka.jpg Das im Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya, dem ehemaligen Prince of Wales Museum of Western India in Mumbai ausgestellte Dolorit-Relief zeigt Sala im Kampf gegen einen Löwen. Die Museumsbeschriftung des Kunstwerks bezeichnet Sala als einen König, doch der erste historisch nachgewiesene Hoysala-König hieß Vinayaditya, er regierte von 1047-1098. Das auf das Jahr 1070 datierte Relief stammt aus dem Tripurantaka Tempel Balligavi (Karnataka) und wäre demnach in der Regierungszeit dieses Königs gefertigt worden. Die sehr bewegte Kampfszene ist an Dynamik und Detailreichtum kaum zu übertreffen. Spannung und Dramatik werden einerseits durch Verkleinerungen der Nebenfiguren (Pferd und Elefant) und andererseits durch überdimensionierte Vergrößerung des Löwen hervorgerufen. Salas Schild kann nur die Pranke des Löwen abwehren. Im annähernd richtigen Größenverhältnis sind Jagdhunde und Mensch (Sala) getroffen. Die herrlich stilisierte Pflanzenwelt liefert nicht nur einen kunstvollen Rahmen für die Szene, sondern zeichnet auch den Schauplatz des Kampfes: im Wald findet der legendäre Kampf statt. Dieses herausragende Werk eines unbekannten Meisters soll den Löwen-Exkurs beschließen.
Die Inder von heute blicken zuversichtlich voraus, sie blicken auch mit berechtigtem Stolz zurück und blicken nicht zuletzt immer und immer wieder auf die Löwen ihres Königs Ashoka, die einst Stärke, Macht, Vernunft und Friedfertigkeit symbolisierten. Hinweis: Mehr zum König Ashoka kann im Artikel GESINNUNGSWANDEL ZWEIER KÖNIGE in diesem Blog nachgelesen werden. Foto: Das historische Foto des Ashoka-Kapitells von Vincent Arthur Smith wurde dem Internet als gemeinfreies Foto entlehnt. Fotos: Günter Schönlein Autor: Günter Schönlein Korrektur: Vanessa Jones
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Von zwei Königen wird zu reden sein. Im eigenen Land werden sie bis heute verehrt. Der Ruhm ihrer Taten reicht kaum über die Landesgrenzen hinaus. Außerhalb ihrer einstigen Reiche sind sie vergessen. Es lebten berühmtere Könige in dieser Welt. Wer vermochte je den Ruhm Alexanders zu überbieten? Wer wird schon mit dem Attribut "der Große" ausgezeichnet? Unsere zwei Könige kommen ohne Zunamen aus, glänzen jedoch mit Vorzügen, die nicht jeden König zur Ehre gereichen. Der eine führte den Buddhismus in Indien ein, der andere verordnete in Kambodscha den Buddhismus als Staatsreligion. Sie konnten sich nicht kennenlernen, doch letzter könnte von den Erfahrungen des ersten profitiert haben . . . ? König ASHOKA lebte von 304 – 232 v. Chr. Er gründete das erste indische Großreich der Antike. Seine Vorfahren mussten sich noch mit den vom Großen Alexander zurückgelassenen Truppen auseinandersetzen. Die Maurya stießen auf die Seleukiden. Landstriche und Kriegselefanten wechselten die Eigentümer. Chandragupta Maurya regierte und annektierte. Von Gandhara bis in den Süden Indiens machte er sich Länder zu Eigen und Völker zum Untertan. Die Legende behauptet, Chandragupta hätte sich als Jain zu Tode gefastet. Sein Sohn Bindusura übernahm die Amtsgeschäfte, respektive die Macht. Er ist das Bindeglied zu ASHOKA, der nämlich entriss, allen Plänen des Bindusura zu wider, als legitimer Sohn die Macht dem Vater. ASHOKA war also der dritte Maurya-König. Anfangs setzte ASHOKA die Tradition seiner Vorfahren fort, führte Krieg, erbeutete Land, unterwarf weitere Regionen. Blut floss, Menschen starben. Elend breitete sich aus. Im Jahr 261 v. Chr. tobte die grausame Schlacht um das Königreich Kalinga. Landraub war angesagt. Die fruchtbaren Regionen Kalingas mussten unbedingt noch dem Reich einverleibt werden. Was er während dieser Schlacht sah und erlebte, stürzte den König in eine tiefe psychische Krise. ASHOKA besann sich und erkannte, dass jeglicher militärischer Sieg sinnlos sei, bedeutend wäre nur der Sieg des Dharma. Krieg sollte es unter seiner Führung nicht mehr geben. Wie klug, wie weise! Welch ein Wandel! Für diese Erkenntnis mussten tausende Menschen ihr Leben lassen und ein König an der Seele erkranken, ehe er gesundete. Die Vernunft hatte die Hab- und Machtgier besiegt. Von nun an hatte sich der mächtige König dem Buddhismus verschrieben und ließ Milde walten. Die soziale Wohlfahrt rückte in den Vordergrund seiner Bemühungen. Seinen Untertanen gebot er Gewalt zu vermeiden. Er riet ihnen zum Vegetarismus, was wiederum Tieren das Leben rettete. Er verbot per Dekret Tiere zu opfern. Am Herzen lag ihm von nun an die Friedensförderung. Er pflegte freundschaftliche Verbindungen zu seinen Nachbarn. Wie sich die Menschen in seinem Reich sozial verhalten sollten, verkündete ASHOKA in Edikten, die er als Inschriften an Säulen, Felsen und Höhlenwänden anbringen ließ. Von den extra zum Zwecke der Bekanntmachung königlicher Vorschriften errichteten freistehenden Säulen trugen einige Löwen-Skulpturen als Bekrönung, andere Säulen schmückte das Rad der Lehre. Die Empfehlungen des Königs bezogen sich grundsätzlich auf verdienstvolles Handeln, Respekt für alle Lebewesen, Großzügigkeit und Reinheit, konkrete Leitlinien, die von Buddha vorgegeben und als Maximen zum Glück führen sollen. Wer soweit denkt, handelt. Toleranz und Mitgefühl beherrschten den König. ASHOKA ließ Krankenhäuser bauen, in denen auch Tiere aufgenommen und gepflegt werden sollten. Die Straßen wurden verbessert, das Straßennetz erweitert. Entlang der Straßen ließ er Bäume pflanzen. Brunnen wurden gegraben. Rasthäuser errichtet. Alles zum Wohle seiner Völker. Er pries die Vorzüge der Lehren Buddhas und wurde nicht müde bis zum Ende seines Lebens diesen Verhaltensregeln und Anweisungen zu folgen und seinem Volk ein nachahmenswertes Beispiel vorzuleben. Einst machtbesessenen hatte sich ASHOKA zum mildtätigen König gewandelt. Ich habe kein Märchen erzählt. Menschen sind zu allem fähig. Ein authentisches Bildnis vom Menschen Ashoka hat sich nicht überliefert. Reliefs in Sanchi zeigen den König Ashoka, diese Abbildungen aber sind künstlerischen Vorstellungen entwachsen, somit persönlicher Phantasie, die durchaus zur Idealisierung neigt. Über den König JAYAVARMAN VII sind die Angaben betreffs der Lebensdaten spärlich: geboren im 12. Jahrhundert, gestorben nach 1206, möglichweise erst 1220. Er regierte das Khmer-Reich, ein riesiges Herrschaftsgebiet, entschieden größer als das heutige Kambodscha. Die Geschlechterfolge der Khmer-Könige konnte bisher weder lückenlos noch exakt rekonstruiert werden. Die wenigen verbindlichen Aufzeichnungen sind auf Steintafeln geschrieben (gehauen) und falls noch in situ wird die verfließende Zeit diese Verkündungen auslöschen. Die wenigen Inschriften der Khmer geben leider nur partielle Auskünfte. Unterwegs auf einem Feldzug erfuhr JAYAVARMAN von den Nöten seines Königs, er verwarf seine Pläne, um dem König zu Hilfe zu eilen. Doch ehe der Heerführer JAYAVARMAN am Platz der Gräuel anlangte, war der König gestürzt und ums Leben gebracht worden, woraufhin sich JAYAVARMAN samt seinen Truppen mehrere Jahre irgendwo versteckte. Wie konnten hunderte oder tausende bewaffnete Menschen unentdeckt bleiben? – eine Frage, die uns nicht weiter beschäftigen soll. Im Jahr 1177 rückten die kriegerischen Cham über den Tonle Sap See an, eroberten die Hauptstadt der Khmer. Einem gelang es, die Invasoren zu besiegen: JAYAVARMAN. Hatte er verborgen in der Verschwiegenheit des Dschungels ausgeharrt, um auf den Einbruch der Cham zu warten und ihnen das Fürchten zu lehren? Feststeht: 1181 bestieg er den Thron, ließ sich zum König krönen und nannte sich fortan JAYAVARMAN VII. Dieser Sieg über die Cham wird gemeinhin als die erste große Heldentat im Leben dieses Königs gefeiert. Alle weiteren Feldzüge dienten reichsvergrößernder Landnahme. König JAYAVARMAN VII verwaltete das zu damaliger Zeit größte Reich in Südostasien. Teilregionen hatte er Familienmitgliedern zur Verantwortung unterstellt. Wer viel besitzt, will noch mehr besitzen, schlussendlich kämpften die Verwandten gegeneinander. Intrigen um des Besitzes und der Macht willen zermürbten die Stabilität des Reiches. Hier Einzelheiten zu beschreiben, führt ins Endungslose. Kriegsberichterstatter verherrlichen solche grausamen Geschehnisse wortreich. Manches im Leben JAYAVARMAN VII bleibt rätselhaft oder völlig im Dunkel der Vergangenheit. Seine Vorfahren hingen dem Hinduismus an. Von ihnen gebaute Tempel huldigen vorrangig den Göttern Shiva und Vishnu. Er selbst wurde gewiss mit den Riten der Götterverehrung vertraut gemacht und dennoch wird JAYAVARMAN VII als leidenschaftlicher Buddhist in den Annalen der Geschichte geführt. Wir wissen nicht, welche Beweggründe ihn zur inneren Kehrtwende veranlassten, vielleicht war er schlichtweg nur kriegsmüde und wollte den Aufgaben eines Königs gerecht werden. Wer konvertiert, hat nachgedacht und beschlossen, sein Leben grundsätzlich zu ändern. Wer wechselt die Gesinnung ähnlich oft wie die Hemden? Doch wohl nur Schlappschwänze und Mitläufer, was schlussendlich dasselbe meint. Verdächtig und unangenehm sind die einen wie die anderen. Nicht so König JAYAVARMAN VII – einmal Buddhist, immer Buddhist. Verfolgte er früher Feinde, so kümmerte er sich nun um Baupläne und realisierte deren Umsetzungen. Blickt man auf die Bauwerke, die während seiner Regierungszeit errichtet wurden, kann man sich des Eindrucks einer unbestimmbaren Gigantomanie nicht erwehren. Die von seinen Bauleuten errichtete neue Hauptstadt Angkor Thom (nördlich von Angkor Wat gelegen) ist bis heute beispiellos und wurde damals staunend und ehrfurchtsvoll betreten, (daran hat sich bis heute nichts geändert). Schon an den mächtigen Stadttoren wurden die Menschen des in Stein gemeißelten Gott-Königs ansichtig. Noch beeindruckender prägten sich die Gesichter des Gut-Menschen im Zentrum der Stadt ein. Gesichter-Türme, die den Herrscher zeigen, steigen in den Himmel auf, in den JAYAVARMAN VII gelangen wollte. Sein Weg war vorgezeichnet. Er fühlte sich als Gott, verglich sich mit dem Gott des Mitgefühls: LOKESHVARA. Die Taten des Königs ließen nichts zu wünschen übrig. Krankenhäuser ließ er im ganzen Land erbauen. An den wichtigsten Straßen wurden Rasthäuser erbaut. Die Zahlen der heute nachgewiesenen Bauten sprechen für sich. 101 Krankenhäuser inklusive Kapellen und 121 Rasthäuser sind entweder damals eingetragen oder aber irgendwann gezählt worden. Hier wurde vermutlich die landesweite flächendeckende Absicherung angestrebt. Nicht nur in Angkor Thom sollte es den Menschen gut gehen. Nicht zu vergessen, weil überlebenswichtig, sind die Wasserbecken und Kanäle, die der König ausgeklügelt erweitern ließ. Die Liste der Aufträge für Tempelbauten, die JAYAVARMAN VII unterschrieb (und zu finanzieren vermochte!) ist lang. Vom kriegsversessenen Kämpfer zum Wohltäter seines Volkes, ein Wandel der sich sehen lassen kann. Vorzeigbare Ergebnisse stehen heute auf dem Besichtigungsprogramm ungezählter Touristen aus aller Welt. Was JAYAVARMAN VII hinterließ, wird heutzutage bewundert. Doch nicht die Tempel allein erinnern an diesen König. Was er vorlebte, was er zu vermitteln suchte, hat reife Früchte getragen. Des Königs Traum ist Wahrheit geworden. Die späten Nachfahren seines Volkes fühlen sich dem Buddhismus verpflichtet. In die buddhistischen Tempel, von denen mehr und mehr gebaut werden, kommen die Menschen, beten dort für ihr Seelenheil, bringen den Mönchen bescheidene Opfer und lassen sich segnen. Das Gesicht des Königs JAYAVARMAN VII ist den Menschen vertraut, ähnlich im kollektiven Gedächtnis verhaftet, wie auf der Flagge von Kambodscha die Silhouette vom Angkor Wat im Winde flattert. Die Statue des Königs, die in vielfacher Ausführung repliziert und in allen Landesteilen aufgestellt wurde, gilt den Menschen ebenso der Anbetung würdig, wie eine Buddha-Statue. Vor Buddha und dem König werfen sie sich nieder. Sie haben die Bindung zu ihrem König, den sie für einen Gott halten, nicht verloren. Zwei Könige wurden vorgestellt. Selbst wenn sie zeitgleich regiert hätten, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich je getroffen hätten. Für Staatsbesuche wären die Wege zu weit gewesen. Hätten ihre Reiche an einer gemeinsamen Grenze gelegen, wären Kriege die unausweichliche Folge gewesen. Feinde hätten sich gegenüber gestanden. Tausende Männer wären für ihren König in den Tod getrieben worden . . . später hätten sich die Könige vermutlich im friedfertigen Einvernehmen verstanden, zumindest in ihren Reifejahren, nachdem die Besinnung zu Vernunft und Mitgefühl vollzogen war. Was bleibt? Beide Könige werden als National-Helden hoch verehrt. Der eine errichtete Säulen und baute Stupas, der andere Tempel, um an Buddha zu erinnern und dem eigenen Glauben ein dauerhaftes Bildnis zu geben. Vermächtnisse können verschiedene Ausformungen annehmen. Glaube versetzt angeblich Berge. Die Könige versetzten keine Berge, aber ihre Völker kamen in den Vorzug die Vorteile sozialer Maßnahmen zu genießen. Die Menschen spürten am eigenen Leib den Unterschied zwischen Krieg und Frieden. Auf Indiens grün-weiß-roter Nationalflagge (Tiranga=Trikolore) wird ein blaues Chakra (Rad) auf weißen Grund gezeigt. Das Dharmachakra (Rad der Lehre/des Gesetzes) galt schon zu Ashokas Zeiten als Sinnbild der Lehren Buddhas und für die Stabilität der Gesetzgebung im Land, die auf den Lehren Buddhas aufbaute. Das Ashoka-Chakra hatte nur acht Speichen. Das neue indische Chakra wird mit vierundzwanzig Speichen dargestellt. Acht Speichen standen für den Edlen Achtfachen Pfad, der zur Erleuchtung führt. Vierundzwanzig Speichen stehen für die Stunden eines Tages. Immer sollen die Gesetze gelten, zu jeder Zeit soll Gerechtigkeit im Lande herrschen. Auf Kambodschas blau-rot-blauer Nationalflagge wird auf dem roten Streifen in Weiß das Angkor Wat präsentiert. Die Farbe Blau symbolisiert die Monarchie, Rot als Farbe steht für die Nation, also das Volk. Die Farbe Weiß symbolisiert die Religion, nämlich den Buddhismus. Untrennbar sind die Menschen mit der Religion verbunden. Großzügig interpretiert verweisen die Flaggen von Indien und Kambodscha auf den Sieg des Buddhismus. Ein friedlicher Sieg, der nicht zuletzt dem Gesinnungswandel zweier Könige zu verdanken ist. Zwei Völker können zu Recht stolz auf ihre Könige sein.
Anmerkung: Die Lebensdaten und grundlegenden Informationen zu Ashoka und Jayavarmann VII wurden den jeweiligen deutschsprachigen Internet-Artikeln entnommen. Fotos: Jayavarman VII Privatarchiv Günter Schönlein, alle weiteren Fotos sind dem Internet entlehnte gemeinfreie Fotos Autor: Günter Schönlein November 2018 Was eher nach einem exotischen Vornamen klingt, meint ein Architekturelement, ein indisches Fenster. Der Sanskrit-Begriff JALI lässt sich etwa mit Gitter übersetzen. Tempelbauten in Indien können auf JALI nicht verzichten. Eher beiläufig, als bewusst gesucht, entstanden einige JALI-Fotos. Die Vielfalt der JALI schien erst in der Nachbearbeitung des Fotomaterials auf. Der kurze Abriss möchte den Blick auf diese kaum beachtete Komponente indischer Architektur richten. Zum besseren Verständnis für alle weiteren Ausführungen müssen hier zunächst kurz gefasste historisch-geographische Hinweise gegeben werden. Alle im Text genannten Tempel von AIHOLE, PATTADAKAL und BADAMI wurden während der Ära der Chalukya-Dynastien errichtet. Über mehrere Jahrhunderte hinweg (vom 6. - 12.Jh.) beherrschten (mit Unterbrechungen) die Chalukya große Gebiete Südindiens. Die Regionen ihrer Machtbereiche erstreckten sich hauptsächlich über die Dekkan-Hochebene, weite Gebiete, die heute zu den südindischen Bundesstaaten Karnataka und Maharashtra zählen. Die viereckigen von Kapitellen gekrönten Pfeilersäulen geben dem Fenster einen soliden Rahmen, als stünde der Betrachter vor einem Bild. Tatsächlich suggeriert das JALI ein den Mandalas entlehntes Muster. Das quadratische Fenster ist in neun gleiche Quadrate gegliedert. Fünf der Quadrate werden von Swastika-Symbolen ausgefüllt. Die zentrale Swastika ist von weiteren vier diagonal gelegenen Swastiken umgeben. Die restlichen vier Quadrate, den Himmelsrichtungen zugeordnet, enthalten jeweils ein Lotosblütenornament. Der Schattenriss (Bild 3) belegt die exakte geometrische Gliederung: ausschließlich waagerechte und senkrechte Linien bestimmen das Fenstermuster. Gleichzeitig entstand ein Lichtkreuz. Das bewegte, unruhige Muster lässt die sanfte Harmonie anderer JALI-Fenster vermissen, ermöglicht jedoch ein Optimum an Lichteinfall und Belüftung. Das Symbol der Swastika (irrtümlich oft mit dem Hakenkreuz/Hitlerkreuz verwechselt) soll hier nicht erläutert werden. Nähere Auskünfte unter https://de.wikipedia.org/wiki/Swastika Das wunderbar gleichmäßig ruhige Blütenmuster eines Scheinfensters findet sich an der Wand der Vihara der Höhlenklosteranlage von Bedse. Mehrere JALI-Muster wurden an den Wänden getestet. Die Versuche dienten vermutlich dekorativen Zwecken: JALI als raumschmückendes Element. Zur kompletten Ausgestaltung der Vihara ist es nie gekommen. Schlussendlich haben sich die Mönche für schlichte glatte Wände (zumindest im unteren Bereich) entschieden. Das rechteckige JALI im Hoch-Format ist von seitlichen Säulen eingefasst (vergleiche Bild 2), hat zusätzlich einen mehrfach abgestuften Reliefrahmen, der das Fenster in die Tiefe der Mauer versinken lässt. Das durchgängig einheitlich gestaltete regelmäßige Rautenmuster ermöglicht maximalen Lichteinfall. Am Durga-Tempel bestechen die verschiedenen Formen der JALI. Die im quadratischen Rahmen kreisrunden JALI unterscheiden sich im Dekor erheblich. Das JALI (Bild 6) begnügt sich mit der schlichten geometrisch genauen achtfachen Kreisteilung, wodurch ein Rad mit acht Speichen entsteht. Das Zentrum (Nabe, Drehpunkt) ziert ein stilisiertes Blumenmuster, eine Lotosblüte. Das JALI (Bild 7) wurde wesentlich aufwendiger gestaltet. Im inneren Ring befindet sich eine sechsblättrige Blüte (vergleiche Blütenmuster Bild 4). Zwölf Speichen verbinden den inneren Reifen mit dem äußeren Reifen. Jedes Kreisviertel ist dreigeteilt. Damit nicht genug, dem übersichtlichen Muster wurde ein zweites bewegtes Muster unterlegt. Es entsteht der Eindruck, als würden sich zwei Räder gegeneinander drehen. Der nach außen gerichteten Zwölfer-Kreisteilung wurde eine weitere Zwölfer-Kreisteilung unterlegt, womit die Durchlässigkeit der vorderen Zwölftel stark verringert, jedoch die optische Wirkung des Designs verstärkt wurde. Nur ein Meister kann den arbeitstechnisch komplizierten Prozess der Fertigung eines solchen JALI bewältigen. Das Doppelrad-JALI im Querformat betont die Anlehnung an Wagenräder. Die Speichen sind den Hauptkoordinaten folgend ausgerichtet, verstärken sich nach außen zunehmend, ganz den geometrischen Entwurf bzw. den Linien folgend. Besonders gelungen ist die blumige Dekoration. Vom kunsthandwerklichen Standpunkt gesehen, ist dieses JALI als hochrangig einzustufen. Aufgerichtet ergeben die Bruchstücke ein Fenstermuster, dessen Design nach europäischem Verständnis mit dem Begriff "kariert" beschrieben wäre. In gleichen Abständen kreuzen sich waagerechte und senkrechte Bänder, wodurch Quadrate entstehen. Die Schnittpunkte der Bänder zieren vierblättrige Blüten. Die Licht-bzw. Luftdurchlässe entsprechen in etwa der Breite der waagerechten und senkrechten Streben. Optisch ist ein Gleichmaß vorgegeben, das Unruhe meidet, dafür Harmonie hervorruft. Die Bilder 10 und 11 zeigen zwei Anwendungsbeispiele kariert gegliederter JALI. Ins Auge fällt die nichtzentrierte Orientierung des JALI (Bild 10). War die Verlagerung des Musters ins linke untere Eck künstlerische Absicht oder hat sich Steinmetz mit der gleichmäßigen Aufteilung der Streben vertan? Desweiteren wurden kariert gegliederte Muster bevorzugt für Wände und raumteilende bzw. raumtrennende Wandelemente eingesetzt. Der früheste (nachgewiesene) Einsatz solcher JALI kann in den Mahakali-Höhlen (Höhle 5) in Mumbai besichtigt werden. Auch in Bhaja in Höhle 18 sind derartige geflochtene JALI anzuschauen. Frühbuddhistische Heiligtümer (Stupa) waren von einem geflochtenen (später gemauerten) Zaun, einer Vedika, umschlossen. In den JALI spiegelt sich das geflochtene Zaun-Muster wieder. Zur dekorativen Gestaltung verschiedener Wandfronten wurden erprobte und bewährte JALI-Muster verwendet. Die Seitenflügel am Zugang zum Heiligtum des Ambigera Gudi (Gudi meint Tempel) vermitteln den Eindruck von Fensterläden. Der Raum wird einerseits belüftet und gleichzeitig dezent in weiches Licht getaucht. Durch die hohe, immer offene Tür drang das Licht bis zum heute nicht mehr vorhandenen Shiva-Lingam. Die in Bild 16 & 17 gezeigten JALI sind der Rubrik quadratischer JALI zuzuordnen. Am JALI (Bild 16) aus dem Huchchimalli Gudi in AIHOLE fällt die hochwertige, individuelle künstlerische Gestaltung auf. Das Muster war keineswegs tradiert, die Phantasie eines begnadeten Künstlers trieb im Sinne des Wortes schönste (Lotos)Blüten. Eher einfach, fast naiv, wirkt das aus dem Ramalinga Tempel in AIHOLE stammende Kreuzblüten-JALI (Bild 17). Das JALI zeigt als Grundmuster eine das Fenster-Bild dominierende, auffallend große zentrale Swastika. Das durchlaufend endlose, verwinkelte, glatte Rahmenband lässt an den Positionen der Symmetrieachsen jeweils Raum für zwei Blüten-Quadrate und ein Licht-Quadrat. Der äußere Rahmen prangte einst mit geschwungenen Girlanden, von dessen Schönheit sich nur am unteren Fensterrahmen eine Ahnung erhalten hat. (zum Swastika-Motiv siehe auch Bild 2) Die JALI am Virupaksha Tempel in PATTADAKAL (übrigens eine UNESCO Weltkulturerbe-Stätte) nehmen das Rad-Motiv wieder auf. Die Rad-JALI (Bild 19) sind in einem reich verzierten aufrecht stehenden Rechteckrahmen zentriert. Wurden solche JALI in Serie gefertigt, konnten diese auch im Querformat verwendet werden, was allerdings die Gleichmäßigkeit im Dekor der Verzierungen zur Bedingung haben musste. Das JALI (Bild 20) ist mit sechzehn Speichen das feingliedrigste aller Rad-JALI. Der Vergleich mit einem echten Wagenrad liegt sehr nah. Die starke Verwitterung des JALI ist der exponierten Lage des Tempels geschuldet, der Oberer Shivalaya Tempel wurde freistehend auf einem Felsen oberhalb von Badami errichtet Wie im Bild 21 zu sehen ist, gelangte nur durch zwei JALI (im Bild nur ein JALI sichtbar) Licht in die Vorhalle (Mandapa). Das Heiligtum selbst blieb fensterlos. Die Wandflächen (außen und innen) waren dem Bildschmuck vorbehalten. Der Zugang in den Mandapa und die zwei Seiten-JALI waren die einzigen Maueröffnungen, die Lichteinlass und Belüftung gewährten. In den Lingam-Schreinen (Cella) wurden im Regelfall keine JALI eingesetzt. Bild 22 & 23: BADAMI Bhootnath Tempel-Komplex Die besonderen JALI-Muster im Hochformat zeigen die verfeinerten Variationen des schlichten Kreuzblütenmusters (siehe Bild 17). Die geschwungenen Seitenkanten (Bild 22) lockern das an sich starre Blütenmotiv merklich auf. Inwieweit solche Blütenmotive der Natur abgeschaut wurden und welche Blumen das Vorbild, das natürliche Muster abgaben, entzieht sich der Kenntnis des Autors. Das JALI (Bild 23) nimmt das Doppelkreuzmotiv auf, das massive Kreuz wird vom Diagonalkreuz überlagert bzw. durchkreuzt, wie auch am JALI (Bild 22) die obere und untere Blüte durchkreuzt wird. – Erstaunlich ist (und wenig bekannt) die Vorschrift, dass der Auftraggeber seiner Kaste gemäß nur eine bestimmte Steinsorte, hier war die Farbe ausschlaggebend, verwenden musste. – Inwieweit den Formen und Mustern der JALI religiöse Konnotationen unterlegt werden könnten, sei dahingestellt, hierüber kann in der ohnehin gerafften Studie nicht nachgedacht werden. Die JALI (Bild 24 & 25) belegen die Probleme und Schwierigkeiten solider Restaurierung. Macht es Sinn, zerbrochene oder verlorene Bausubstanz stilgerecht zu ersetzen oder genügt es, Leerräume – im besprochenen Fall also JALI – durch simple Imitationen zu ersetzen oder sollten aufwendige Duplikate geschaffen und eingefügt werden? Welcher Handwerker könnte heute noch ein JALI meißeln? Maschinell werden heutzutage JALI in allen möglichen Formen und Größen hergestellt. Den beeindruckenden Zauber, den ein handgefertigtes JALI ausstrahlt, kann von keiner noch so perfekt programmierten Maschine imitiert werden. Die Patina vergangener Jahrhunderte und der Charme natürlicher Alterung lassen sich nicht nachahmen. FAZIT: Das JALI ist ein starres, in der Form unveränderliches Bauelement aus Stein. Die geometrischen Grundformen der JALI blieben unverändert: Quadrat Rechteck im Quer- und Hochformat Rad (Kreis) im quadratischen oder rechteckigen Rahmen Doppelrad im rechteckigen Rahmen. Alle gezeigten Muster sind grundsätzlich in jeder Größe vorstellbar. JALI mit abschließenden Bogen oder ovale JALI sind an Chalukya-Tempeln nicht vorhanden. Material: Sandstein in allen Färbungen und Körnungen Hinweis: die im Text aufscheinenden Musterbezeichnungen sind keine angewandten Fachtermini, sondern vom Autor gewählte Begriffe. Das "moderne" JALI entstand in den Jahren 1650 bis 1661. Es schmückt und belichtet die obere Ebene des Mausoleums Bibi-Ka-Maqbara. Das Muster ist vermutlich der Bienenwabe abgeschaut. Der kurze Ausblick beschränkte sich fast ausschließlich auf JALI der Chalukya-Epoche. Näher betrachtet wurden nur JALI der Tempelbauten in BADAMI, PATTADAKAL und AIHOLE. Die frühen Chalukya-Dynastien residierten vom 6. - 8. Jahrhundert in BADAMI. Während dieser Periode entstanden die bedeutendsten Tempelbauten in der Region um BADAMI. Gemeinhin werden die Chalukya-Tempel als Höhepunkte indischer Tempelbaukunst geschätzt. Der Überblick auf die JALI kann keinesfalls als erschöpfende Betrachtung bewertet werden.
Autoren, die in anderen Regionen Indiens unterwegs gewesen sind, könnten sicherlich mit weiteren JALI-Beispielen aufwarten. Ein Blick auf die Weiterentwicklung der JALI bis in unsere Zeit hinein wurde unterlassen, zu vielschichtig ist das Thema. Der WIKIPEDIA-Artikel zu JALI liefert wissenswerte Informationen. Reichlich zwei Dutzend Fotos, versehen mit kurzen Erklärungen, sollen das Blickfeld erweitern und das Interesse für eine spezielle Facette indischer Architektur wecken. Fotos: Günter Schönlein & Vanessa Jones (Bild 3) Autor: Günter Schönlein, geschrieben im November2018 In der westlichen Welt können Christentum und Judaismus als gemeinhin vertraute Religionen betrachtet werden. Betreffs Buddhismus und Hinduismus verfügen die meisten Menschen über annähernd konkrete Vorstellungen. Die diffizilen Unterscheidungen der Glaubensrichtungen im Islam sind den Betroffenen bekannt. Im Norden Indiens und in Pakistan sind die Sikhs heimisch, doch vom JAINISMUS haben viele noch nie gehört. Tatsächlich hat sich die Jain-Religion außerhalb des indischen Subkontinentes nur sehr zögerlich ausgebreitet. JINA – der Siegreiche – wird als Ehrentitel für MAHAVIRA, den Begründer des Jainismus verwendet. Der Legende nach gilt Mahavira als der letzte der 24. Thirthankaras, dieser Begriff wird meist als "Furtbereiter" übersetzt. Die Thirthankaras (Betonung auf der zweiten Silbe) werden als die Mittler zwischen materieller und ideeller Welt verstanden. Gelegentlich wird auch für Buddha der Begriff JINA benutzt. Wer sich etwas näher mit den Leitsätzen und Regeln der Jain-Religion befasst, wird feststellen, dass die Grundsätze der Jain-Lehre durchaus den Regeln des Buddhismus verwandt sind. Einleitend sei vermerkt, dass sich der Buddhismus und der Jainismus etwa zeitgleich in Indien etablierten. Die Bestätigung dieser Behauptung erklärt sich im Vergleich der Lebensdaten der mutmaßlichen Religionsgründer: Mahavira lebte von 599 – 527 v.Chr. und Siddartha Gautama von 563 – 483 v.Chr. Rishabha (Rishabhanata) wird als erster Thirthankara angesehen, deshalb als Ahnherr der Lehre (Adinath) verehrt. Die bekanntesten, also namentlich am häufigsten erwähnten Thirthankaras sind Shanthinatha, das ist der 16. Furtbereiter, Neminatha, der 22. Furtbereiter und Parsvanatha, als 23. der Verehrungswürdigen. Allen werden besondere Verdienste nachgesagt. Parsvanatha und Mahavira wurden als Königssöhne geboren, verließen die Familien, verzichteten auf Wohlstand, schlossen sich Asketen an und kehrten nach Jahren der Zurückgezogenheit ins zivile Leben zurück, sodann verkündeten sie ihre Erfahrungen und Erkenntnisse, auf die sich die Lehrsätze des Jainismus berufen. Ein annähernd adäquater Lebenslauf wird dem Buddha Gautama nachgesagt. Wollen Menschen den Lehren des Mahavira folgen, sind zunächst in aller Konsequenz drei ethische Prinzipien im alltäglichen Leben zu verwirklichen:
AHIMSA – die Gewaltlosigkeit APARIGRAHA – die Unabhängigkeit von unnötigem Besitz SATYA – die Wahrhaftigkeit. Ordinierte Nonnen und Mönche haben sich den gleichen Bedingungen zu unterwerfen. Sie müssen einem erweiterten Gelübde Folge leisten. Für sie gelten zusätzlich zwei weitere Regeln: ASTEYA – fremdes Eigentum achten BRAHMA – unkeusche Beziehungen vermeiden. Rational orientierte und nüchtern denkende Menschen könnten jetzt einwenden, so lebe ohnehin jeder vernunftbegabte ordentliche Mensch. Diese Überlegung mag nicht unbedingt falsch sein, aber wer lebt einerseits kämpferisch intensiv und andererseits asketisch konsequent, dabei stets den Regeln der AHIMSA und SATYA folgend, wie es beispielsweise ein Mahatma Gandhi vorführte, um nur einen beispielgebenden indischen Vertreter zu nennen, der wiederum sich nicht ausdrücklich zum Jainismus bekannte, doch um die Gewissheit der Richtigkeit dieser Regeln wusste und diese in seinem Leben realisierte. Gandhi war bekennender Hindu, doch seine weite Seele stand den universellen positiven Strömungen aller Religionen offen. Der Jain folgt keinem Gott. Alles Leben ist ihm heilig. Er achtet die Schöpfung. Er beutet die Natur nicht gnadenlos aus. Er sorgt sich mit Bedacht um das Leben. Jegliche Handlungen sind generell den Regeln der Gelübde anzupassen. Hier überschneiden sich wieder die Leitsätze des Jainismus mit denen des Buddhismus. Nun kann sich nicht jeder Mensch asketisch in sich selbst versenken, Meditationen ausüben und Mantras murmeln. Die meisten Menschen dieser Welt sind in den Kampf um das tägliche Überleben eingebunden, denken deshalb zuerst an die nötigsten Dinge, die das Leben ermöglichen: Wasser und Brot. Wir müssen unsere Bedürfnisse nicht extrem beschränken, wie Buddha es tat, dabei fast verhungerte, zumindest krank wurde, es wäre schon viel, wenn wir nur das Lebensnotwendigste für uns beanspruchen würden . . . wie viel bliebe dann für die anderen übrig! Buddha predigte den Weg der Mitte. Radikaler in Denken und Handeln sind die Verfechter des Jainismus. Zwei Strömungen der Glaubenspraktiken haben sich bis heute durchgesetzt. Zu sprechen ist von den DIGAMBARAS und den SHVETAMBARAS. Die sogenannten "Luftgekleideten" (Digambaras), vorwiegend in Südindien anzutreffen, sind jene Mönche, die auf allen Besitz verzichten, in völliger Nacktheit leben, sich damit auf die großen Vorbilder berufen, die meistens unbekleidet abgebildet wurden. Anders die "Weißgekleideten" (Shvetambaras), im Norden Indiens anzutreffen, das sind jene, die das Verständnis der Lehren den Gepflogenheiten und Lebensweisen der jeweiligen Zeit anpassen. Die Auslegung der Schriften fördert in jeglicher Religion Probleme zutage, die gedankliche Spielräume schaffen, die wiederum sektiererische Strömungen ermöglichen. Doktrinäre Auslegungen der Glaubenslehren sind zu tolerieren, wie eben auch die fortschrittlichen Deutungen der Überlieferungen nicht abzulehnen sind. Nur bedingungslose Toleranz realisiert das umfassende Verständnis von AHIMSA und SATYA, die einander bedingen. YAMA – der Gott des Todes und Herr des Dharma – reitet auf seinem schwarzen Büffel. Innerhalb der Tempelgruppe von Koh Ker finden sich YAMA-Reliefs nur im 928 eingeweihten Prasat Krachap. Eine Inschrift verrät die Widmung an Tribhuvanadeva = Herr der drei Welten: Himmel, Erde und Unterwelt. Viele Autoren vertreten die Meinung, hier käme Shiva auf Nandi geritten. Wo aber wären vergleichbare Shiva-Reliefs zu sehen? Ich behaupte u. V. hier ist YAMA unterwegs. YAMA ist es nicht vergönnt, unter den Göttern des Himmels zu leben. Er verwaltet die Unterwelt. In YAMAs Reich suchen die Geister der Verstorbenen einzukehren. YAMA entscheidet als Richter und Herr der Gesetze (Dharmaraja), auf welchen dem erworbenen Karma entsprechenden Schicksalsweg die Menschen in ihrem nächsten Leben unterwegs sein werden, – dabei ist er selbst ein Suchender nach Erleuchtung, denn er hat die Wiedergeburt noch nicht erlangt. YAMA ist ein Sohn des Surya (Sonnengott) und Zwillingsbruder der Yamuna, die wiederum auch gleichzeitig als seine Frau (Yamuni) genannt wird. Surya, der Strahlende, zeugte einen Sohn der Nacht, der Dunkelheit. Wer sich im Angkor-Gebiet dem Herrn der Unterwelt nähern möchte, der braucht in Angkor Thom nur die Lepra-König-Terrasse zu betreten. Die nicht zu übersehende Statue eines sitzenden Königs wird, weil traditionell so beschrieben, nur allzu gern als Lepra-König deklariert, was nicht unlogisch scheint, trägt doch die Terrasse seinen Namen. Tatsächlich kursieren mittlerweile andere Meinungen profunder Wissenschaftler: diese Statue (übrigens ein Replikat, das Original wird im National Museum in Phnom Penh ausgestellt) zeige nicht den Lepra-König, sondern den Todesgott YAMA. Es wird vermutet, auf diesem Platz könnten Begräbniszeremonien und Verbrennungen stattgefunden haben, was die Anwesenheit YAMAs legitimieren würde. Der Herr über den Tod an dieser Stätte, das macht Sinn, ist also keineswegs eine absurde These. Eine Probebohrung (Erdschichtenanalyse) würde diese Annahme endgültig bestätigen oder entkräften. Hinweis: Weitere Ausführungen zu dieser Problematik liefert der Artikel "Leper King Terrace" von Ernst Ando Sundermann auf dieser Webseite. Siehe auch: Artikel INMITTEN VON GÖTTERN TEIL 11 Gleich wer auf dem niedrigen Sockel sitzt, ob wir uns dem Herrn der Unterwelt oder dem Lepra-König nähern, die Kambodschaner fragen nicht, sie kommen und verehren den Gott und weihen ihm kurze Augenblicke der Andacht und Besinnung. An solchen tradierten Plätzen lassen sich einerseits unverfälschte schlichte Volksfrömmigkeit, andererseits die aus tiefsten Glauben resultierende Götterverehrung beobachten. Schon Kinder verbeugen sich vor den Statuen oder werfen sich an solchen Orten nieder. – Ist vom Lepra-König die Rede, muss an den König Yasovarman I. gedacht werden. Yasovarman der Erste regierte von 889 - 910 und starb im Jahr 911. Der König ist mehr als beliebt, selbst das Replikat wurde schon enthauptet. Ich kann behaupten, auf diesem Lintel wäre der Gott YAMA dargestellt. Weiß ich es aber nicht genau, darf ich die Aussage nur als Vermutung zur Diskussion stellen, eine Vermutung, die sich als richtig oder falsch erweisen wird. Wie viele andere Behauptungen namhafterer Autoren haben sich später als Irrtum erwiesen . . . Laien sollten vorsichtig sein. Nicht anzufechten ist die Tatsache, dass an der nördlichen Stirnseite der Elefantenterrasse, rechts neben dem wahrscheinlich neu gestalteten Stufenaufgang die Fragmente eines von Besuchern kaum registrierten, wenig beachteten Götter-Reliefs aufgestellt worden sind. Alle äußerlichen Indizien sprechen für den Gott YAMA: Sitzposition, Armhaltung, Waffe (Attribut), Kopfbedeckung, (vergleiche Fotos: Prasat Krachap). Ich weite meine Vermutung aus und gebe zu überlegen, ob es nicht möglich wäre, dass dieser Yama ursprünglich seinen Standort an der Mauer genau gegenüber gehabt haben könnte. Dort nämlich hätte er den Eingang in sein Reich, in das Reich des Todes markiert, womit ein weiterer Fakt gesammelt wäre, der unter Vorbehalt die Annahme einer königlichen Begräbnisstätte belegen würde. Trauerprozessionen könnten über die Elefantenterrasse die Begräbnisstätte erreicht haben. Trauernde hätten vor Betreten der Stätte zuerst dem Todesgott YAMA von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden. Folgende Fragen lassen sich nur wenig befriedigend beantworten: Was hätte der Gott YAMA an der Elefantenterrasse, einem weltlichen Bauwerk, verloren? Zum Dvarapala (Wächter) ist er wohl kaum degradiert worden? Wäre der jetzige Aufstellungsplatz dem ursprünglichen Standplatz entsprechend, was würde YAMA künden: nicht mehr, als das sein Reich hier endet? Wenn es aber dort endete bzw. seinen Anfang nahm, würden Trauergäste mit gesenkten Häuptern, die von der Elefantenterrasse kamen, den Gott YAMA überhaupt wahrgenommen haben? Welche Fakten würden den unlogischen Standort des YAMA-Reliefs begründen? Ein letzter Fakt zu YAMA und der Elefantenterrasse: an der linken Seite der erwähnten neuen Treppe zur Elefantenterrasse wurde ebenfalls ein fragmentarisches Relief eines Gottes oder einer Wächterfigur aufgestellt, die stilistisch nicht zum YAMA-Relief passt, sogar das Steinmaterial scheint ein anderes zu sein. Ein allerletztes zu diesen Thesen: nähern sich Besucher aus westlicher Richtung den zwei besagten Terrassen, blicken sie zunächst auf zwei von glatten Mauern eingefasste hügelige Erhebungen. Der geradlinige Weg zu den Terrassen ist beidseitig von flach am Boden liegenden Steinmassen gesäumt. Denkbar wären eine Mauer oder eine Galerie bzw. sehr in die Länge gezogene Gebäude, die beidseitig am Prozessionsweg errichtet worden waren. Rein zufällig liegen die bearbeiteten Steine gewiss nicht links und rechts dieses Weges, der aus dem Königspalast-Areal heraus und zu den Terrassen/Begräbnisstätten führt. Zieht man jetzt noch die in den zwei Terrassen gelegenen inneren Gänge in Betracht, lassen sich manche Erwägungen anstellen. Sind auch die inneren Wandelgänge auf Seiten der Elefantenterrasse bescheidener ausgestattet bzw. erhalten, ist dennoch ihre Nichtzugehörigkeit zur Elefantenterrasse ziemlich logisch. Die Khmer-Baumeister achteten stets auf symmetrische Harmonien. Es müsste also am südlichen Ende der Elefantenterrasse ein ähnlich konstruierter Bauabschluss zu sehen sein. Einen solchen gibt es nicht. Bleibt also die Möglichkeit zweier Begräbnisstätten, deren eine aus bautechnischen Gründen in die Elefantenterrasse integriert werden musste. Wäre der auffällige Hügel hinter der Elefantenterrasse ebenfalls eine Begräbnisstätte, dann stünde YAMA am richtigen Ort und die adäquaten Götterreliefs am Zugang in die Lepra-König-Terrasse sind wahrscheinlich verloren gegangen. Nebenbei bemerkt: der Zutritt in reguläre Grabtempel erfolgte aus westlicher Richtung, nur ein Beispiel: Angkor Wat. Ungewissheiten und Rätsel machen wahrscheinlich den einzigartigen Zauber Angkors aus. Angkor bleibt spannend, jederzeit, auch für Laien. THORANI – welch klingender Silbenfall – ein hübscher Frauenname. Thorani ist keine Göttin. Thorani, so berichten es die Legenden, war zugegen, als Buddha Gautama die Erleuchtung erlangte. Sie soll den Dämon Mara verjagt haben. Thorani wrang ihr langes Haar aus, die herabfließenden Wasserströme spülten den Dämon Mara und alle Verführer/Verführerinnen hinweg. Eine schöne Geschichte, die sich weiter erzählen und ausschmücken ließ, die aber nirgends in den kanonischen buddhistischen Schriften nachzulesen ist. Aus der sympathischen Frauengestalt einer Geschichte erschuf sich der Volksglaube eine Göttin, die im Sinne des Wortes keine ist. Obwohl Thorani nie in den Status einer Göttin erhoben wurde, sind dennoch ihre Bilder an einigen Tempeln in Kambodscha verewigt worden. Verehrt wird Thorani auch in Thailand, Laos und Myanmar. Thorani – Prasat Sanlong (bei Siem Reap) Thorani – Nokorbanchey Tempel, Kampong Cham Weitere Namen für Thorani lauten Vasundhara, Phra Mae Thorani oder Preah Thorani. Falls die oben gezeigten Bilder vom Ta Som Tempel Darstellungen der Thorani wiedergeben, stellt sich unmittelbar die Frage, weshalb diese Nicht-Göttin ausgerechnet im Ta Som Tempel mehrfach geehrt wurde. Sollten diese Bildwerke die allseits bekannten Apsaras zeigen, dann hatte der Künstler ein spezielles Faible für Tänzerinnen bei der Toilette, denn zu finden sind auch Apsaras, die sich im Spiegel begutachten (siehe Foto im Artikel: INMITTEN VON GÖTTERN Teil 11). Wahrscheinlicher ist aber die Annahme, dass der Künstler mit der Lebensgeschichte Buddhas vertraut war und eine ihm wichtige Episode aus dem Leben Buddhas (siehe oben) würdigen wollte. KINNARA & KINNARI sind Mischwesen, die sowohl in männlicher (Kinnara) als auch in weiblicher (Kinnari) Mutation ihren Auftritt in vielen Tempeln Kambodschas haben. Trotz der Vielzahl der Bildtafeln und der überreichen Figurenwelt, die am Borobodur zu bewundern sind, fallen dem Betrachter die ungewöhnlichen Mischwesen auf. Das Detail aus einem Buddha-Relief zeigt das Menschen-Vogel-Paar auf einer Wolke, beide halten eine Lotosblüte als Opfergabe in der Hand. Kinnari & Kinnara – Candi Mendut, Java Kinnari mit Naga – Kloster bei Candi Mendut, Java Die Mensch-Vogelwesen erscheinen sowohl im hinduistischen als auch im buddhistischen Bilderkanon. Meist werden die Mischwesen paarweise gezeigt. Zu unterscheiden sind gemischte Paare und gleichgeschlechtliche Paare. Seltener sind einzelne Kinnara zu sehen. Häufig erzählt wird die Geschichte von den drei mit Schätzen gefüllten Krügen, die unter dem Baum des Lebens (Kalpataru) stehen und von Apsaras, Devatas und den Menschenvögeln bewacht werden, eine Geschichte, die geradezu nach bildlicher Darstellung verlangt. Im Laufe der Jahrhunderte lässt sich betreffs der Legenden um die Kinnara/Kinnari in mehrerer Hinsicht ein Stil- und Bedeutungswandel auf Java nachweisen. Die moderne Kinnari aus dem Kloster nahe dem Candi Mendut weist eine Besonderheit auf, die nirgends anders zu entdecken war: vereinigt mit dem Naga hat sich Kinnari. Der siebenköpfige Naga (oder Nagini) bietet der Kinnari den Schutzschild, wie man ihn von Buddha-Darstellungen kennt (Buddha auf dem Naga-Thron). Die Kinnari hält ein Muschelhorn als Opfergabe bereit. Die ungewöhnliche Paarung ist so seltsam nicht, wenn man bedenkt, dass die Nagas, Yakshas, Makaras und Kinnaras oft in Verbindung gebracht werden, lebten sie doch in den unteren bewaldeten Gegenden des Berges Meru (Himaval). Die mythologischen Überlieferungen sind vielschichtig, wie auch die Lebensräume der unterschiedlichsten Wesen klar abgesteckt sind. Durchstreifen wir die düsteren unteren Bereiche der Meru-Welt, so stoßen wir auf die Yaksha und die Makara. Die Yaksha/Yakshini sind Erdgeister bzw. Naturgeister, die verborgene Schätze behüten. Sie treten im Gefolge des Gottes Kubera aus, sind also Diener des Herrn der Reichtümer. Nähere Einzelheiten zu den Makara werden auf dieser Website im Artikel »Anomalous depiction oft the Vishnu creation myth« zum Tempel Preah Khan von Ernst Ando Sundermann erläutert. Weit verbreitet im gesamten südostasiatischen Raum haben sich die Naga. Diesen Schlangenwesen werden besondere Fähigkeiten nachgesagt, sie können sogar Menschengestalt annehmen, werden häufig sogar als Gottheiten verehrt. Von Shesha (Ananta) war schon im Artikel INMITTEN VON GÖTTERN TEIL 6 die Rede. Seit Shesha genießen Schlangenwesen die Bevorzugung besonderer Verehrung. Wahrscheinlich sind die Naga/Nagini die am häufigsten abgebildeten Wesen im hinduistischen und buddhistischen Bilderkanon, ihre Zahl ist Legion. Erinnert sei nur an die Schlangensteine in Indien oder an die Schlangenbalustraden in Kambodscha. Buddha ohne den Naga ist kaum denkbar. Der Naga wird von Hindus als König verehrt. Sie sind geschätzt, anerkannt und verehrt und haben dennoch einen Feind: Garuda hasst sie aus ganzer Seele und vernichtet sie. Buddha auf Lotos-Thron - Kanheri Höhlen, Mumbai (Maharashtra) Indien In den Höhlen-Komplex von Kanheri ist das Motiv des Naga-Paares mehrfach verwendet worden, in jedem der Buddha-Bilder stützen und stärken die Naga den Lotostrieb, auf dessen Blüte Buddha thront. In später gebauten buddhistischen Höhlentempeln Indiens verliert sich die bildhafte Herausstellung der Naga. Allein Buddha steht im Vordergrund der Bilderwelt. Der siebenköpfige Naga (meist als Kobra klassifiziert) gewährt dem Buddha Schutz. Das Motiv ist allseits bekannt und wurde tausendfach variiert. Auch hinduistisch geprägte Tempel können auf den Naga bzw. das Naga-Paar nicht verzichten. In Aihole (Karnataka) sind im berühmten Durga-Tempel gleich zwei Naga-Darstellung zu beachten. Einerseits das Deckenrelief, eine zusammengerollte Schlange mit Menschenkopf und andererseits das Schlangenpaar im Vishnu-Varaha-Bildnis. Die jeweils vermenschlichten Abbildungen des/der Naga geben anschaulich Zeugnis der Wertschätzung. (Das vollständige Bildnis des Vishnu-Varaha wird im Artikel INMITTEN VON GÖTTERN TEIL 6 gezeigt.) Naga (Deckenrelief) & Naga-Paar – Durga-Tempel, Aihole (Karnataka) Indien Naga-Akroterium an Tympanum im Banteay Srei Tempel Naga-Balustrade – Prasat Preah Vihea In vielen Tempeln in Kambodscha kann man den Naga kaum ausweichen. Man begegnet ihnen, ohne sie direkt zu suchen. Auch weltliche Bauwerke, wie diese Brücke (Spean Praptos) aus dem späten 12. Jahrhundert (Bauherr König Jayavarman VII.) werden von den Naga bewacht.
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Autor Günter Schönlein
Auf meinen bisher acht Reisen nach Kambodscha habe ich viele Khmer-Tempel photographisch dokumentiert. Mit Pheaks Hilfe suchte ich auch viele schwer zu findende entlegene Tempel auf. In diesem Blog möchte ich meine dabei erworbenen Eindrücke und Kenntnisse gerne anderen Kambodscha-Liebhabern als Anregungen zur Vor- oder Nachbereitung ihrer Reise zur Verfügung stellen. sortiert nach Themen:
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